RAF - Der Weg in die Ausweglosigkeit

 

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„Einigkeit und Recht und Freiheit“, Collage, Schülerarbeit 2020 

In diesem Jahr jährt sich zum fünfzigsten Male die Gründung der RAF, einer in der Selbstwahrnehmung kommunistischen und antiimperialistischen Stadtguerilla, die bis 1993 zahlreiche Anschläge und 33 Morde – vorwiegend in der Bundesrepublik Deutschland - verübte, bevor sie sich 1998 auflöste.

 Am 14. 05. 1970 befreiten Ulrike Meinhof und weitere Aktivisten den in Berlin einsitzenden Andreas Baader während eines bewachten Ausgangs zwecks Interviewführung im „Deutschen Sozialinstitut für soziale Fragen“. Nach einem diese Aktion begleitenden Schusswechsel mit Beamten tauchten die Befreier mit Baader unter und begannen zügig mit dem Aufbau der s.g. Roten Armee. 

Der Name „Rote Armee Fraktion“ oder kurz: RAF, verweist auf eine Nähe zu nicht regierungsgebundenen sozialistischen Kampfgruppen, wie es sie im 20. Jh. auch in Japan, Italien und diversen südamerikanischen Ländern gegeben hat.

Der Mythos, der sich bis heute um die kriminelle Bande rankt, ist nach wie vor nur schwer zu verstehen. Geboren aus der Ohnmächtigkeit der außerparlamentarischen Opposition und der Studentenbewegungen der späten 1960er Jahre, verliert sich der Weg dieser verirrten Gesellschaftsaussteiger auf ihrem Pfad in den „politischen Autismus“…

Einst angetreten, um Unterdrückung und Brutalität der USA im Vietnamkrieg anzuprangern, den Shah von Persien als skrupellosen Massenmörder zu entlarven, den entfesselten Kapitalismus zu zügeln und nicht zuletzt, um Aufklärung über die politische und gesellschaftliche Vergangenheit der Nazigeneration zu fordern, verrieten sie ihre eigenen Ziele und Ideale spätestens 1971 mit den ersten Morden und in der Folge zunehmend durch einen wachsenden Anti-Zionismus und die zahlreichen, billigend in Kauf genommenen, Kollateralschäden in Form von ermordeten Unbeteiligten. So endete der Mythos von einer vermeintlich besseren Welt – jenseits der von ihnen kritisierten Blutbäder – im selbst inszenierten Blutrausch gegen Einigkeit und Recht und Freiheit…

Betrachtet man das Phänomen des deutschen Terrorismus ganzheitlicher, so lässt sich eine regelrechte Bewegung in jener Zeit erkennen, die mit der RAF lediglich ihre Spitze erreichte. In diese Zeit fallen auch die Anschläge der s. g. „Tupamaros“ in Berlin und München, vor allem auf die Berliner Synagogengemeinde 1969 und wohl auch auf das jüdische Altenheim in München 1970, mit sieben Toten , der „Bewegung 2. Juni“, der „Revolutionären Zellen“ und der befreundeten palästinensischen Kampfgruppen z.B. gegen die israelische Olympiamannschaft in München 1972 mit elf ermordeten Sportlern.

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„Blutbad“, Collage, Schülerarbeit 2020 

Überhaupt…Israel! Von den deutschen Terroristen als angebliche Handlanger des US-Imperialismus diffamiert, gerieten der Staat und seine jüdischen Bürger ins Visier der Terrorgruppen, deren deutsche Vertreter doch ursprünglich angetreten waren, den antisemitischen Naziterror der Elterngeneration aufzuklären und durch einen kommunistischen Gesellschaftsentwurf zu ersetzen. Hinter dem politisch scheinbar korrekten Anti-Zionismus, der vermeintlich gerechten Kritik an Israel, verbarg sich letztendlich wieder nur der wohlbekannte Antisemitismus alter Prägung. Schon 1970, als Baader und seine Banditen in jemenitischen Terrorcamps von Palästinensern ausgebildet wurden, wähnten sich die deutschen Guerillakämpfer an der Seite der Unterdrückten, im Kampf gegen die von ihnen als faschistisch wahrgenommenen Israelis. Wenn nicht schon 1970 in München, so doch spätestens 1976 bei der „Selektion“ durch Wilfried Böse in Entebbe/Uganda hatten die einst links orientierten deutschen Terroristen das politische Lager gewechselt und sich in die gefährliche Brandungszone der eigentlich konkurrierenden Rechtsradikalen manövriert.

Hatte die erste Generation der RAF um Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zumindest noch ideologische Wurzeln in der studentischen Revolte, so wies die auf sie folgende zweite Generation lediglich unverhohlene und bis zur Obsession gesteigerte Sympathie für die Baader-Meinhof-Bande auf und versuchte dann auch völlig autistisch, die zwischenzeitlich 1972 verhaftete Anfangsgeneration freizupressen. In der Folge gerieten die gewählten Mittel immer weiter aus den Fugen und zeigten eine Unverhältnismäßigkeit, die in einer Gewaltorgie im s. g. „Deutschen Herbst“ von 1977 ihren vorläufigen Höhepunkt fanden. Der Rundumschlag mit Morden an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen zwei Begleitern sowie an Jürgen Ponto, dem Vorstandssprecher der Dresdner Bank, wies den Aktionen im Herbst den Weg: Im September entführte die RAF zuerst den Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer und erschoss dabei seinen Fahrer und drei Polizisten. Weil die Bundesregierung bekanntlich keinen Gefangenenaustausch vornehmen wollte, erhöhten die Terroristen den Druck auf die BRD durch die Entführung eines Lufthansa-Verkehrsflugzeugs mit 87 Menschen an Bord, das von befreundeten Palästinensern gekapert und schließlich, nach der Ermordung des Piloten, nach Mogadischu in Ostafrika verbracht wurde. Nach der Befreiung des Ferienfliegers durch die GSG9 begingen die in Hoffnungslosigkeit ausharrenden Terroristen Baader, Ensslin und Raspe noch in der gleichen Nacht Selbstmord, den sie so inszenierten, dass er wie eine staatliche Ermordung aussah. Nur wenige Stunden später erschossen die RAF-Mitglieder der zweiten Generation den entführten Schleyer. 

Hanns Martin Schleyer, dessen gewaltsamer Tod die Bundesrepublik vor dem Absturz in ein politisches Desaster bewahrte, gilt das Gedenken unserer aktuellen Präsentation in der Pausenhalle der Peter-Ustinov-Schule zu Hude. Im Wissen, dass Kanzler Helmut Schmidt und seiner Regierung bei der Entscheidung Schleyer nicht auslösen zu können, keine Wahl blieb, um den Staat nicht erpressbar zu machen, zollen wir auch ihnen größten Respekt und klagen gleichzeitig den Terrorismus im Allgemeinen als menschenverachtende Ideologie an. 

Dazu dienen uns künstlerische Verfahren wie Collagen, die mit ihren pointierten Kompositionen Ungleichzeitiges und auch Gegensätzliches miteinander verbinden und damit zum Nachdenken anregen. Getreu dem überlieferten Motto Paul Klees wollen wir mit unserer Kunst nicht das Sichtbare widergeben, sondern etwas sichtbar machen! Erarbeitet wurden die Collagen von den Lernenden des Projektes „Die politische Landschaft“ im zehnten Jahrgang der Realschule, die sich im laufenden Schuljahr intensiv mit dem Themenkomplex Terrorismus auseinandergesetzt haben. Unsere Ergebnisse zeigen dekonstruktive Vorgehensweisen, mit Hilfe derer die Erwartungen an das vermeintlich Vertraute gestört werden. Farben, Formen und Kompositionen sollen den Betrachter irritieren und seine Wahrnehmung verändern, um ihn zum aktiven Nachdenken, zum Hinterfragen zu bewegen. Durch diese Aktivitäten können intellektuelle Prozesse eingeleitet werden, die Lernenden helfen, die Realität hinter den Darstellungen und Trugbildern zu erkennen. Bild und Betrachter gehen dabei eine Vernetzung ein, die mit der rein optischen Aufnahme beginnt, über die differenzierte Interpretation fortgesetzt wird, einen Transfer einleitet und letztlich in der ganzheitlichen Wahrnehmung, dem „Begreifen“, gipfelt.

Wer heute den politischen Irrsinn jener Zeit resümiert, wird verstehen, wie wichtig eine Demokratieschulung bereits in der Mittelstufe unseres Schulwesens ist, damit kommende Generationen gegen extremistische Positionen nachhaltig immunisiert werden können.

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„Kreuzigung“, Collage, Schülerarbeit 2020 

Text und Fotos: Dr. Joest Leopold

 

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